Hannes Wader:

 

September 00

 

Ich bin gerührt. Mein allererstes Album ist nach Jahrzehnten endlich wieder offiziell zu haben, nachdem man die noch kursierenden Restexemplare nur zu Sammlerpreisen von mehreren hundert Mark ergattern konnte. Und ich selbst besitze keine einzige Scheibe der alten Auflage mehr. Jahrelange, bohrende Nachfragen bei meiner ehemaligen Plattenfirma, warum Hannes Wader singt denn nicht mehr nachgepresst werde, ergaben: Nichts.

 

Jetzt glaube ich mehr zu wissen. Wenn ich richtig verstanden habe, mussten die Nutzungsrechte an der Produktion wieder an meinen ehemaligen Produzenten Knut Kiesewetter, der sie seinerzeit auch bezahlt hat, zurückgegeben werden. Gut so. Wie auch immer, ich freue mich, dass es das Werk wieder zu kaufen gibt.

 

Versetzen wir uns in das Entstehungsjahr der Scheibe. Es ist 1968. Ich bin
26 Jahre alt und Teil der sich eben erst entwickelnden Berliner Folkszene vor dem turbulenten Hintergrund der Studentenbewegung und in Westdeutschland, nach einem spektakulären Auftritt 1966 auf der Burg Waldeck im Hunsrück, noch eine Art Geheimtipp. Außer mir haben alle meine Freunde und Kollegen bereits Plattenverträge. Schobert und Black, Katja Ebstein, Ulrich Roski, Insterburg & Co, Reinhard Mey usw. Insbesondere Reinhards Ruhm erreicht bereits schwindel – und neiderregende Höhen. Kongenial übersetzt er meine beiden – auch auf dieser CD befindlichen – damals noch unveröffentlichten Songs "Das Lied vom kleinen Mädchen" und "Begegnung" ins Französische (La petite fille, Rencontre). Er nimmt die Lieder in der elterlichen Küche mit einem einfachen Vierspurgerät auf, lässt eine Platte daraus pressen und erringt damit den Grand prix du disque de l'academie française. Ein bis heute einzigartiger Erfolg für einen deutschen Sänger.

 

Nach einem Konzert in der Schweiz werde ich von zwei Mädchen beschimpft, die mir nicht glauben wollen, dass obengenannte Lieder nicht von Reinhard, sondern von mir sind. Als ich es ihnen schwarz auf weiß beweise, sind sie von meiner Niedertracht so tief verletzt, dass sie laut schluchzend aus meiner Garderobe stolpern. So ist das also, denke ich, wenn nicht ich, sondern ein anderer richtig berühmt ist. Ich bin erst einmal sauer auf Reinhard, aber nicht sehr. Ich weiß, dass meine Zeit schon noch kommt. Woher ich das weiß? Was für eine Frage, sowas weiß man.

 

Reinhard macht mich mit Walter Richter bekannt, einem mäßig erfolgreichen Schlagerproduzenten alter Schule, der zumindest das kommerzielle Potential, das in unseren – damals völlig neuartig erscheinenden – Songs schlummert, zu wittern im Stande ist. Anders als bei Reinhard laufen seine Bemühungen, ein Band mit Wader-Liedern zu verkaufen, ins Leere. So wie der Gast der natürliche Feind des Kellners ist, ist der Künstler der natürliche Feind aller grossen Plattenfirmen und ihrer Ober- und Unterbosse. Schon mein erster Kontakt mit dieser Spezies gestaltet sich als ein wahrer coup de foudre gegenseitigen Abscheus. Ich will sie nicht, sie wollen mich nicht. Kleine schnuckelige Independent-Labels wie dieses hier, gibt es damals noch nicht. Also, dann lieber überhaupt keine Platte.

 

Anlässlich eines Konzerts für den Südwestfunk in Baden-Baden, nach meiner Erinnerung zusammen mit Hein & Oss Kröher, Walter Mossmann und Christof Stählin, fragt mich Knut Kiesewetter – er hat zufällig auch beim SWF zu tun und sich unseren Auftritt angesehen – ob ich schon eine LP hätte, wenn nicht, würde er eine mit mir machen wollen. Gemeinsam machen wir einen Zug durch das Baden-Badener Nachtleben. Knut zahlt. Wir wohnen im selben Hotel.

Knut sagt: "Du kannst mir Deine Adresse an der Rezeption hinterlassen, ich rufe Dich an."

Die Sprüche kenne ich schon. Ich hinterlasse keine Adresse an der Rezeption. Wenn er es ernst meint, wird er mich schon finden.

Wochen später ruft Knut mich in Berlin an: "Wir wollen doch 'ne Platte machen, warum hast Du mir Deine Adresse nicht dagelassen?"

"Hab ich vergessen."

 

Knut schickt mir, ich selbst habe kein Geld, das Ticket für den Flieger nach Hamburg. Wir nehmen im Studio Windrose, das es heute nicht mehr gibt, innerhalb von sechs Stunden alle meine Titel auf, die ich bis dahin geschrieben habe. 12 Stück insgesamt. Knut ist von dem Produkt sehr überzeugt und putzt Klinken bei allen grossen Platten-Companys. Schön jemanden zu haben, der einem das abnimmt. Alle winken ab. Bei der Philips schließlich (der Laden wurde im Zuge der Globalisierung von einem noch größeren Konzern gekauft und hat deshalb heute einen anderen Namen) gelingt es ihm, die Veröffentlichung seiner Bänder bei einem der Unterbosse, der die Stallwache hält, die anderen sind alle in Urlaub, buchstäblich zu erzwingen:

"Wenn ihr Wader nicht nehmt, kriegt ihr von mir keine zweite Witzplatte!"

 

Knut hat dort bereits eine LP mit Witzen herausgebracht, die beträchtliche Verkaufszahlen erziehlt. Jener nette Mensch, ich weiß sogar noch seinen Namen:
W. Kretschmer (es gibt eben auch in dieser Branche die eine oder andere Ausnahme) wird von seinen Kollegen, als sie aus dem Urlaub kommen, fertiggemacht:

"Wie konntest du uns derart in den Rücken fallen? Diese ganze Wader-Scheiße hatten wir doch schon mal auf dem Tisch und einstimmig abgelehnt. Kein Mensch will diesen Mist hören!"

 

Das Album erscheint. Es kostet die Company Pfennigbeträge. Ein bisschen Vinyl, die Pressung und die Pappe fürs Cover, das ich selbst kostenlos entwerfe. Schließlich bin ich Grafiker. Für Werbung wird keine Mark ausgegeben. Dabei geht es der Branche gut. Spesen in astronomischer Höhe werden widerspruchslos abgerechnet. Für Journalisten, die in ihren Artikeln nur den Firmennamen erwähnen, hagelt es Gratis-Puff-Besuche bis zu Weltreisen für zwei Personen oder wahlweise ein VW-Kabrio.

 

Einem Platten-Debütanten, gut beworben, der zu jener Zeit innerhalb eines Jahres auf 3 – 4000 verkaufte Exemplare verweisen kann, ist ein mehrjähriger Vertrag sicher. Für ein unerwünschtes, nicht promotetes Produkt ist der Verkaufserfolg von Hannes Wader singt überwältigend. Es werden binnen weniger Monate mehrere zehntausend Scheiben abgesetzt und auch meine Plattenbosse sind überwältigt. Aber ins Unrecht gesetzt? I-wo. Jetzt haben sie es auf einmal alle immer schon gewusst und jedem kommt das Verdienst zu, mich entdeckt zu haben. Wohl nie hat ein Erfolg so viele zeugungsunfähige Väter gehabt. Immerhin komme ich so zu einem langfristigen Plattenvertrag.

 

Das wäre in aller Kürze die Entstehungsgeschichte meines ersten Albums. Lange ist es her. Über 30 Jahre. Ich habe mir die Platte noch mal wieder angehört. Einerseits war mir alles vertraut. Andrerseits wieder so fremd, dass ich mich beinahe selbst seufzen hörte: "Was für ein sympathisches, vielversprechendes, wenn auch nicht mehr blutjunges Talent (Spätentwickler eben). Was aus dem wohl geworden ist?"

 

 

 

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